„Menschengesellschaften“

1. Menschengesellschaften contra Mäuse und Käfer
Mit diesem altertümlichen Wort, das im heutigen Duden nicht mehr vorkommt, das aber z. B. noch bei August Bebel 1895 (die Frau und der Sozialismus) zu finden ist, bezeichnete ein S21 Befürworter während der sog. Schlichtung den neuen Stadtteil, der auf dem Gleisvorfeld in 15 oder 20 Jahren einmal entstehen soll. Es steckte wohl die Absicht dahinter, der Zerstörung dieses Biotops, das sich dort seit 80 Jahren entwickelt hat, mit dem Rückgriff in die sprachliche Vergangenheit einen seriösen Anstrich zu geben.  …  Da versteht es sich in diesem Denken fast von selbst, dass der Mensch ein Recht hat, sich gerade an die Stelle der dortigen „Lebensgesellschaft von Mäusen und Käfern“ breit zu machen.

2. Widerspruch
Wenn auf diese Weise der Lebensraum von Menschen gegenüber den von Tieren und Pflanzen als höherwertig dargestellt und sogar noch mit einem angeblichen Bibelzitat belegt wird („Pflanzen und Tieren dem Menschen zum Nutzen“), dann muss man dem aus biblischen und theologischen Gründen widersprechen.

3. Ein überholtes Denken – und seine verheerenden Folgen
So wie das Wort „Menschengesellschaften“ veraltet ist, so überholt ist auch das Denken, das dieser aus früheren Jahrhunderten stammenden Weltanschauung zugrunde liegt. Heiner Geißler nannte es in diesem Zusammenhang „veraltete theologische Schule“. Wie aber sah solches Denken aus? Aus der Bestimmung des Menschen, Ebenbild Gottes zu sein, zog man den Schluss, der Mensch sei die Krone der Schöpfung. Aus dem Auftrag: sich die Erde untertan zu machen und über die Tiere zu herrschen, folgerte man, der Mensch sei unumschränkter Herrscher über die ganze Welt und kann sie allein zu seinem Nutzen gebrauchen. Diese allein vom Menschen ausgehende Sicht der Welt (anthropozentrisches Weltbild) ist in die Bibel hineingetragen, stammt aber nicht aus ihr, ebenso wenig wie das Zitat: „Pflanzen und Tieren dem Menschen zum Nutzen“. Unbestritten jedoch ist, dass eine solche Geisteshaltung zur Umweltzerstörung und zur ökologischen Krise unserer Zeit erheblich beigetragen hat.

4. Die Grenzen des Wachstums
In früheren Jahrhunderten waren die Eingriffe in die Natur gering, Schäden für die Menschen nicht erkennbar. Die Natur schien unermessliche Ressourcen für die menschliche Gesellschaft bereit zu hatlen. Das änderte sich mit der Zunahme der Bevölkerung, die sich auch in bisher unbewohnte Gebiete ausbreitete. Und es verschärften sich die Auswirkungen noch einmal durch die technischen Errungenschaften, die es erlaubten, die Erde und ihre Ressourcen unbe-schränkt auszubeuten ohne Rücksicht auf Natur und Umweltfolgen. Die ungeheuere Umwelt-zerstörung blieb vorerst einer Mehrheit der Menschen verborgen. Das änderte sich mit den Erkenntnissen des Club of Rom und dem Werk von Dennis Meadows: Die Grenzen des Wachstums, 1972.

5. Die Kirchen entdeckten ihre Verantwortung für die Schöpfung
Die Kirchen und die Theologie konnten sich diesen Erkenntnissen nicht verschließen. Langsam fand ein Umdenken statt, das man zusammenfassen kann in dem Thema „Bewahrung der Schöpfung“. So wie sich in der Öffentlichkeit die Erkenntnis durchsetzte, dass die gesamte Menschheit eine besondere Verantwortung für die Umwelt trägt, so setzte sich auch in den Kirchen das Denken durch, der Glaube an den Gott der Schöpfung muss eine Ethik hervorbringen, die die Erhaltung von Gottes guter Schöpfung zum Ziel hat. Nicht der Wille zur Herrschaft über die Welt ohne Rücksicht auf die Umweltfolgen darf den Menschen in seinem Handeln leiten. Notwendig und angemessen ist dem glaubenden Menschen allein eine Hal-tung der Solidarität, der Partnerschaft und der Barmherzigkeit der nichtmenschlichen Natur gegenüber. Gefragt ist eine Ehrfurcht vor dem Leben, die anderes Leben nicht nur gebrauchen und verbrauchen will, sondern ehrt und zur Geltung kommen lässt. Solche Ehrfurcht ent-springt einer Liebe zum Leben wie sie dem Willen des Schöpfers entspricht. (siehe dazu: Lohff/Knuth, Hrg.: Schöpfungsglaube und Umweltverantwortung, 1985, S.26f)

6. Verantwortliches Denken, Reden und Handeln
Verantwortliches theologisches Denken, Reden und Handeln kann aus diesem Grund nicht länger eine „Menschengesellschaft“ gegen das Lebensrecht von Mitgeschöpfen ausspielen. In der einen, von Gott gesegneten Schöpfung zeichnet sich menschliche Haltung allein aus durch Solidarität, Partnerschaft und Barmherzigkeit.

Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer

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